Sonntag, 30. Juni 2002

Walser-Debatte/ der offene Brief v. Hammerschmitt/ Haasis

Glückwunsch zu dieser furchtbar gelungenen Form öffentlicher Hinrichtung. Beeindruckend, wie lustvoll einerseits diese betrieben wird und wie absolut an den Haaren herbei gezogen die Argumente hierfür sind:

- "Sie machen aus dem Trotz der Dummheit eine Tugend - und ein Geschäft".

Diese Behauptung, der Skandal sei von Walser fein eingefädelt, um sich daran zu bereichern, ist eine Unverschämtheit, bar jeglicher Kenntnis der Walserschen Person.

"Wie Sie aus Ihrer gekränkten schriftstellerischen Eitelkeit eine Staatsaffäre machen, indem Sie ein Nichts wie "Tod eines Kritikers" mit dem Hautgout abgestandener rassistischer Ressentiments würzen, wie Sie den blutenden Sebastian der tiefempfundenen Seelengründelei geben, wie Sie spielen, immer nur spielen und andere die todernsten Folgen dieses Spiels ausbaden lassen: Es widert uns an. "

Selbst diese wunderbar formulierte Gehässigkeit zeigt nur eines: diese beiden sich Schriftsteller nennenden Personen waren nicht gewillt, den Roman vorurteilsfrei zu lesen; sie plappern einfach nach, was ihnen von der Großkritik vorgefuttert worden ist; sie stürzen sich auf die paar, in der FAZ schon zitierten Sätze des Rohmanuskripts und walzen sie platt zum eigentlichen Inhalt des Romans. Was, bitte, sind denn diese rassistischen Ressentiments (auf die u. a. auch Jan Phillip Reemtsma Bezug nimmt)? Es heißt, der Jude werde zerzeichnet als Figur, die einen schwarzen Hut und Schuhe mit Plateausohlen trage, der geil sei und sich gerne an Schwangeren bis zum dritten Monat vergreife, der durch die "Goschen ejakuliere" usw. Darauf stürzt man sich mit Geschrei und läßt vollkommen außer Acht, in welchem Textzusammenhang diese Stellen auftauchen.
Der schwarze Hut: er wird von dem Kritiker anläßlich der Beerdigung des Verlegers Pilgrim getragen. Darf das nicht erwähnt werden? Ist also fortan jedem text, in dem ein schwarzbehüteter Jude auftritt schon antisemitisch?
Die Schuhe mit Plateausohlen: ein Zerrbild des jüdischen Menschen? Also bitte, ja!
Der Schaum in den Mundwinkeln: zwei betrunkene Autoren unterhalten sich in einer Wirtschaft über den Kritiker EK; einer, dem EK übel mitgespielt hat, äußert dabei diese "Goschen-Ejakulation" - alles antisemitisch?
Ein paar solcher Stellen und schon ist Walser ein übler Rassist. Und auf die Interpretation der 99 Prozent Rest-Roman kann verzichtet werden. Hauptsache, man kann jetzt endlich auch mal sein Maul aufreißen und Gehör finden. Am liebsten natürlich bei RR selbst. Schweigen Sie! rufen die beiden Schriftsteller, die sich offenbar für nicht unbedeutend halten, Walser zu. Im Befehlston. Schweigen Sie! (Damit Platz frei wird für uns, die wir uns zu den Ehrbaren zählen).

Ein Buch, geschrieben, um gekränkte schriftstellerische Eitelkeit zu bewältigen? Selbst wenn. Alle Schriftsteller sind eitel, und alle Schriftsteller sind verletzlich. Der ganze Literaturbetrieb ist eitel, verletzlich und verlogen. Wie auch dieser offene Brief verlogen ist. Herr RR ist nicht zimperlich, was dem Umgang mit Autoren betrifft. Er herrscht, er beherrscht diesen Betrieb meisterhaft, wer will das ernstlich leugnen. Wie er mit Widersachern verfährt, belegt der "Fall" Sigrid Löffler. Wessen Meinung ihm nicht paßt, dem fährt er grob übers Maul. Basta. Wer so austeilt, muß auch einstecken können. Egal, was jemand über RR schreiben würde, egal, was er von jetzt an schreibt: er wird mit gnadenloser Leichtigkeit des Antisemitismus bezichtigt. Das ist so. Basta.
Ich fordere alle auf, diesen offenen Brief zu lesen, ja, es wäre der gesamten deutschen Presse anzuraten, diesen Brief abzudrucken, ich fordere alle Sendeanstalten des deutschen Fernsehens auf, Hammerschmitt/ Haasis Sendezeit zu gewähren, damit sie das bewerkstelligen können, was im Roman unter dem Kapitel "2084 - Eine Notiz aus der Überlieferung des Zukünftigen" beschrieben wird.
Mehr nicht.

Aufforderung zur Diskussion über Hammerschmitt/ Haasis
O. a. Brief ist nachzulesen hier im Litblog; des weiteren im (glaube ich) Schwäbischen Tagblatt Tübingen, wo es am Ende bezeichnenderweise heißt, bislang werde auf diesen offenen Brief seitens der Kritik und der Kollegen geschwiegen. Mit Recht! möchte man ausrufen, denn was sich Hammerschmitt/Haasis da geleistet haben, ist durchaus dazu geeignet, einem die Sprache zu verschlagen (was sie für Walser ja inständig hoffen).

7 Kommentare:

  1. Nachdem ich "Tod eines Kritikers" gelesen habe, meine ich sagen zu müssen: die Geschichte ist weder spannend noch interessant. Im Gegenteil: Walser schreibt langatmig und langweilig.

    Man mag über "Tod eines Kritikers" sagen und denken was man will; fest steht, dass dieses Werk durch Erzeugung von viel Lärm zum voraus zu einem der besten Geschäfte geworden ist, das ein Schriftsteller überhaupt machen kann. Ich gönne es Martin Walser weniger mehr jedoch dem Suhrkampverlag, der einen Zustupf brauchen kann. In diesen wirtschaftlich eher harten Zeiten.

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  2. Zu Regula Erni: Sicher, das ist eine Meinung, man kann/ darf den Roman langweilig finden. Es ist auch richtig, daß durch den Vorauslärm ein gutes Geschäft zustande gekommen ist. Aber das ist nicht Walsers Schuld. Schirrmacher hätte seine Ablehnung auch in einem privaten Brief ausdrücken können. Diese Ablehnung aber öffentlich zu machen, führte zum Geschäft. Zunächst einmal für die FAZ. Auch dort gibt es Hintergründe.

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  3. Wolltest Du etwas zur Walser-Debatte von Dir geben oder gegen eine Person vom Leder ziehen? Warum musst Du Walser eigentlich so in den Arsch kriechen? Was sind denn Deine Interesse an der Debatte?

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  4. Zu Hans Zengler:

    Ich meine nicht, dass es Martin Walsers Schuld ist, dass er und sein Suhrkampverlag ein gutes Geschäft gemacht haben und noch machen werden. Es ist klar, dass Schirrmachers Artikel den Ausschlag dafür gegeben hat. Und so sei mir die Frage: Wäre Martin Walsers "Werk" TeK auch in Druck gegangen, wenn Schirrmacher den Vorabdruck in der FAZ nicht lautstark abgelehnt hätte? - Walser will, so zumindest habe ich in einem Interview verstanden, den Filz in den Medien, das Geschäftsgebaren der Medien anprangern. Ob er sich auch dazu hinreissen liesse, ein Buch über den Verkaufserfolg "Tod eines Kritikers" zu verfassen - mit allem Drum und Dran, z.B., seinen Drohungen, sich ins Ausland abzusetzen usw. und mal aufzuzeigen, wie "gutes" Marketing unter Publizisten und Verlegern funktioniert? Die Antisemitismus-Debatte ist ganz gewiss nicht von Walser allein verursacht; er hat lediglich einen Stein ins Rollen gebracht - bedenkenlos und ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wohin dieser rollt und was er alles mit sich reisst. Das ist nicht mal böse Absicht, aber sträfliche Gedankenlosigkeit.

    (re)

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  5. Liebe Regula Erni,

    es ist mir nicht klar, wie du zu dem Schluß kommst, Walser habe bedenkenlos einen Stein ins Rollen gebracht: er hat das nicht getan. Der Stein ist von Frank Schirrmacher ins Rollen gebracht worden, durch den völlig absurden Vorwurf, der TEK sei eine üble, antisemitische Haßorgie. Jetzt, wo alle das Buch lesen können, legt er nacht und schart Rezensenten um sich, die seinen Vorwurf stützen. Aber es gibt inzwischen eben auch eine große Zahl vorurteilsfreier Leser und Rezensenten (die den Roman wirklich gelesen haben) und belegen, daß der Roman nicht die vorverurteilte antisemitische Haßorgie ist. Siehe z. B. Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Focus, Süddeutsche Zeitung usw.

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  6. Schau mal, lieber Hans Zengler, ich werfe Walser Gedankenlosigkeit vor, könnte ihm aber auch Ungeschicklichkeit vorwerfen. Martin Walser schreibt ganz am Anfang seines Buches folgendes ..."schließlich sei allgemein bekannt, daß André Ehrl-König zu seinen Vorfahren auch

    Juden zähle, darunter auch Opfer des Holocaust." Die Ehrl-König-Geschichte hätte ohne diese Anspielungen - ich erwähne hier nur diese eine - den meisten, die heute "Antisemit" rufen, nicht mehr als ein schiefes Lächeln entlockt. Dass Ehrl-König für Marcel Reich-Ranicki steht, wird jedem in die Literaturkritik eingeweihten Leser - und welcher ist das heute nicht - auch ohne Anspielung auf die Religionszugehörigkeit Ehrl-Königs klar. Und meines Wissens hat sich MRR nie dazu hinreissen lassen, mit seinem Jüdischsein zu koketieren. Es sollte ja, so habe ich Walser verstanden, in dem Roman TeK nicht um Religion gehen, sondern um das "Unwesen", das Literaturkritiker und Medienmogule betreiben.

    Bist du mit dieser Antwort zufrieden? :-) re

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  7. Liebe Regula, es geht doch nicht darum, ob ich mit deiner Antwort zufrieden bin oder nicht, sondern einzig um die Art und Weise, wie hierzulande ein Krieg der Feuilletons auf dem Rücken eines Autors ausgetragen wird, wobei der Roman selbst längst keine Rolle mehr spielt. Ich weiß nicht, was Walser gedacht hat, denke aber schon, daß er sich was gedacht haben wird. Hervorgerufen durch die Vor-Rezensionen machen wir alle den Fehler, die Romanfiguren deckungsgleich zu setzen mit den Personen der Wirklichkeit. Aber es ist und bleibt ein Roman. Und die Romanfigur Ehrl-König ist natürlich nicht vollkommen deckungsgleich mit RR, sondern mit mindestens zwei weiteren Kritikern vermischt. Nur der Einfachheit halber (und weil sich so die Vorwürfe leichter formulieren lassen) hat man gesagt: Herr Ehrl-König IST Reich-Ranicki. Wie auch immer, ich akzeptiere deine Meinung und setze mich damit schon auch auseinander :-)

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