Donnerstag, 13. Juni 2002

Intelligentes Konglomerat - Martin Walser: "Tod eines Kritikers"



Intelligentes Konglomerat
Viel Staub hat Martin Walser in den letzten Wochen aufgewirbelt, weil die FAZ seinen Roman "Tod eines Kritikers" wegen angeblich antisemitischer Tendenzen nicht vorab drucken wollte. Vielleicht haben die Verantwortlichen das Manuskript schlicht nicht verstanden, denn "Tod eines Kritikers" ist gar kein Roman, sondern ein riesiger, komplexer Essay, ein Psychogramm nicht nur des Großkritikers Andre Ehrl-König, sondern des gesamten Event-Kulturbetriebs. Nur vordergründig erzählt Walser die Geschichte der vermeintlichen Ermordung des Kritikers mit dem leicht zu parodierenden "Sperachfehler" durch einen "Scheriftstellerr". Walser zitiert Nietzsche, bemüht die Psychoanalyse und allerhand Autorenkollegen, nur um die Luft aus dieser Riesenblase, diesem Hype von Literaturbetrieb und dem alles beherrschenden "Giftzwerg" zu lassen. "Tod eines Kritikers" ist vor allem im ersten Teil eine wunderbare und bösartige Satire. In der zweiten Hälfte jedoch geht Walser der Gaul durch: Sein Versuch über den Zustand der "doitschen Literatür" gerät zu einem schwer zu enträtselnden Gewirr aus Gerüchten, Anspielungen, Zitaten und Bildungshuberei - vieles mag auch purer Nonsens sein. Jedenfalls findet sich in diesem monströsen, aber durchaus intelligenten Konglomerat alles, nur keine Spur von Antisemitismus. - Matthias Kehle

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