(Chris Inken Soppa)
Der Mauerläufer lebt seit fünf Jahren am Bodensee, auch im Allgäu, Oberschwaben, in der Ostschweiz und Vorarlberg. Längst ist der regionale, radikale, randständige Vogel flügge, dieses Jahr feiert er sein erstes Jubiläum.
Auch Mauerläufer Nummer 5 demonstriert WortMacht. Und Bildmacht. Die Jubiläumsausgabe kommt knallig bunt daher. Selbst in olfaktorischer Hinsicht hat sie was zu bieten; die Druckfrische kriecht einem verheißungsvoll in die Nase, noch ehe das Heft ausgepackt ist. Wieder hat Gestalterin Eva Hocke namhafte Künstler wie die Allgäuerin Christine Koch oder den Thurgauer Conrad Steiner ins Heft geholt. Allein das Titelbild ist kultverdächtig: Als Pfeil stellt sich Christoph Rütimann in gespanntem Bogen vor eine grandiose Alpenlandschaft, um den Hals trägt er ein Schild mit den Worten tell me. Genau darum geht es auch dieses Jahr. Ums Erzählen. Um die Geste im Mund, wie Schriftstellerin Zsuzsanna Gahse es nennt. Ums Echo, das noch im Raum galoppiert (Jürgen Weing). Um Blockbuchstaben und Ausrufezeichen (Jimmy Brainless). Um scharfe Wendungen, die hässliches Quietschen erzeugen (Heribert Kuhn). Vorworte gibt es im Heft. Zwischenworte. Widerworte. Und Nachworte.
Obwohl sich die Mauerläufer-Redakteure Christa Ludwig, Katrin Seglitz, Hippe Habasch, Hanspeter Wieland und Jochen Kelter zugunsten ihrer Kollegen zunehmend zurücknehmen, sind es in diesem Jahr gerade auch ihre Texte, die so eindrücklich sind. In Unbefristet überlässt Katrin Seglitz einem afghanischen Geflüchteten das Wort. Erzählt von unerträglichen Erlebnissen in einem Land, das deutsche Politiker zum „sicheren Herkunftsland“ erklären. So spricht sich das deutsche Machtwort dann auch ohne Mühe: Der Fremde soll abgeschoben werden, dabei hoffte er jahrelang vergeblich auf ein gegenteiliges Machtwort, das da unbefristet heißt.
Jochen Kelter blickt andersherum; er beschreibt Angekommene, die das vermeintliche Paradies erreicht haben, in diesem Fall die Schweiz. Sie haben mit Reiz- Erwartungs- und Sprachüberflutung zu kämpfen und verheddern sich zunehmend im Verwaltungssystem. Sorgsam zeigt Kelter, wie weit die Erwartungen, die Flüchtlinge und Einheimische voneinander haben, auseinander liegen. Wie leicht es zu Missverständnissen kommt. Den Druck, der auf beiden Seiten lastet. Als Deutschlehrer bei der Thurgauer Flüchtlingshilfe hatte Jochen Kelter reichlich Gelegenheit, hinter Kulissen und Abgründe zu blicken.
Der Mauerläufer, der Vogel also, kann Wände hochlaufen und erreicht so eine ganz eigene Sicht auf die Dinge. Auch See-Alemann Hanspeter Wieland geht ab und zu die Wand hoch. Als Wutbürger preist er die Macht des wahren Wortes, ansonsten ist es doch nur Getöse. So what, entgegnet Christa Ludwig subversiv, und Hippe Habasch erdichtet ein ende mit längen.
Der Meersburger Autorenrunde entsprang der erste Mauerläufer; mittlerweile hat sich sein Radius ordentlich erweitert. Aus Berlin, aus Bonn, aus Wien, aus Zürich kommen Texte und Bilder, ein Text stammt vom iranischen Autor Said, ein anderer von Dersim Ahmed aus Syrien, der mittlerweile in Ravensburg lebt. Der Mauerläufer mausert sich zum Weltbürger. Schon das Heft von 2015 wurde dank Eva Hockes umwerfender Gestaltung in die Longlist der schönsten deutschen Bücher der Stiftung Buchkunst aufgenommen. Umso wichtiger, dass dieser Vogel auch künftig ein jährlicher bleibt. Den man lesen, betrachten und – nicht zuletzt – in seiner Frische, seinem Eigenwillen auch wunderbar riechen kann.
Mauerläufer 2018 WortMachtWort
186 Seiten, 48 Schriftsteller, 11 Künstler
Preis 14 EUR / 14 CHF
ISBN 978-3-9819985-0-4
mehr Info unter: www.mauerlaeufer.org