Mittwoch, 15. Juni 2016
„Gehen, ging, gegangen“ Die Berliner Schriftstellerin Jenny Erpenbeck zu Gast bei den „Konstanzer Literaturgesprächen"
„Jenny Erpenbeck hat das Buch der Stunde geschrieben“, titelte im Spätsommer 2015 „Der Spiegel“
seine Rezension zu „Gehen, ging, gegangen“. Das Buch handelt vom Flüchtlingselend in Deutschland;
es ist wohl die längste Stunde in der kurzen Geschichte dieser Republik. Das Thema ist immer noch
heiß. Und es wird bleiben, so, wie die Weltlage sich darstellt.
Am Donnerstag Ende August, so heißt es lapidar in dem Buch, versammeln sich zehn Männer vor
dem Roten Rathaus in Berlin. Sie haben beschlossen, nichts mehr zu essen. Wenige Tage später
beschließen sie, auch nichts mehr zu trinken. Es sind Farbige, sie sprechen kein Deutsch. Sie sprechen
englisch, französisch, italienisch. Und noch andere Sprachen, die hierzuland niemand versteht. Was
wollen die zehn Männer, Flüchtlinge? Arbeit wollen Sie und in Deutschland bleiben…
Er ist ein „trauriger Glücksfall“ (Elke Schmitter) für die deutsche Literatur, dieser Roman, der fünfte
der in Berlin lebenden Autorin, die zunächst als Dramatikerin reüssierte. Er bringt das Dilemma der
Flüchtlingspolitik – diesseits und jenseits unserer Grenzen – auf den Punkt: subtil, engagiert, mit viel
Empathie und ohne falsches Pathos, vor allem aber mit einer enormen erzählerischen Kompetenz.
„Gehen, ging, gegangen“ galt als Favorit für den Deutschen Buchpreis; immerhin gelangte das Buch
auf die Shortlist der letzten sechs Titel. Ganz ohne Würdigung blieb der Roman nicht: Erpenbeck
wurde der Thomas-Mann- Preis 2016 zuerkannt.
Seit ihrem so grandiosen wie eigentümlichen Debüt „Geschichten vom alten Kind“ (1999) gehört
Erpenbeck zu den „kraftvollsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, wie die NZZ
zu Recht notierte. In ihren Romanen, Erzählungen, Essays und Dramen stellt sie sich der prekären
politischen Geschichte des 20. Jahrhundert ebenso wie den brennenden Fragen der Gegenwart. Sie
nimmt dabei eine Haltung ein, die durch ihre unbedingte Aufrichtigkeit überzeugt. In „Gehen, ging,
gegangen“, sagte sie in einem Interview, versuche sie „unsere Wirklichkeit, das, was wir für
selbstverständlich halten, auch mit den Augen der Flüchtlinge anzuschauen.“ Versuch geglückt. Auch
in Romanen wie „Heimsuchung“ (2008) oder „Aller Tage Abend“ erzählt sie von Tätern, Opfern und
Mitläufern in Umbruchs- und Migrationszeiten wie den heutigen – und das in einer ebenso
eigenwilligen wie mitreißenden Sprache.
Nun ist Jenny Erpenbeck Gast der „Konstanzer Literaturgespräche“; bereits am Vortag liest sie in
Friedrichshafen im Kiesel. An beiden Abenden wird sie begleitet von Wolfgang Ferchl, Programmchef
bei Knaus, wo Erpenbecks Bücher herauskommen. Ferchl ist am See kein Unbekannter. Der 59-
Jährige studierte in Konstanz u.a. bei Hermann Kinder, volontierte in einem Konstanzer Verlag und
hat auch bei anderen prominenten Verlagen wie Piper und Eichborn Buchzeichen gesetzt. Die
Besucherinnen und Besucher dürfen einen spannenden Abend erwarten.
Apropos Hermann Kinder. Sein neues Buch „Porträt eines jungen Mannes aus alter Zeit“ wird am
Donnerstag, 21. Juli, ebenfalls im Rahmen der „Konstanzer Literaturgespräche“ diskutiert. Für den
Herbst kündigt „Forum Allmende“, unter dessen Dach die Reihe durchgeführt wird, einen Abend mit
Büchner-Preisträger Arnold Stadler an. Nach mehr als zehn Jahren wird im Sommer ein neuer Roman
von ihm im S. Fischer Verlag erscheinen.
Konstanzer Literaturgespräche mit Jenny Erpenbeck am Dienstag, 21. Juni, 20 Uhr, Spiegel-Halle
(Hafenstraße 12). Moderation: Wolfgang Ferchl. Eintritt 8.- €, Karten nur an der Abendkasse.
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