Sonntag, 12. November 2006

Angriffe auf die Kunstfreiheit

Ich habe, in meiner Eigenschaft als Stellvertretender Landesvorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller (VS) Baden-Württemberg, anschließend die regionale Presse eingeschaltet, die sofort reagierte, und die, wie zu erwarten, empört darüber war, daß nunmehr Krethi und Plethi glauben, befeuert durch eine heillos verwirrende Rechtsprechung in Sachen Persönlichkeitsrecht, ein Anrecht darauf zu besitzen, Maulkörbe zu verteilen und so die Kunstfreiheit, und daran anknüpfend auch die Presse- und Meinungsfreiheit, aufs Spiel zu setzen. Dem hat sich auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) angeschlossen und eine scharfe Pressemitteilung verfaßt, in der sogar von einer "Provinz-Fatwa" die Rede war.

Soweit kaum der Rede wert. Aber diese Woche ging die Posse in die zweite Runde. Der Regionalvorsitzende des DJV hat innerhalb weniger Tage insgesamt 14 Schmäh- und Drohanrufe erhalten. Einige Anrufer gaben sich als Bürgervereinsmitglieder zu erkennen, die ihm Rufschädigung vorwarfen, das "gesunde Volksempfinden" werde es nicht länger zulassen, daß dergleichen Schmutz verbreitet werde. Zum Schluß gab es sogar Anrufer, die grunzten, daß solche Bücher kurzerhand verbrannt gehörten und ihre Autoren und Fürsprecher gleich mit dazu.

Freilich, das Skandälchen von Pattonville ist und bleibt eine Provinzposse. Für sich genommen lächerlich unwichtig, eine dummdreiste Angelegenheit. Aber die Tendenz dahinter wirft ein Licht auf die Zustände der bundesrepublikanischen Gesellschaft im Jahr 2006, das Furcht einflößend ist. Immer mehr so genannte Bürgervereine schwingen sich dazu auf, Bürgerwehrarbeit zu leisten, um den guten Ruf einer Stadt zu "schützen". Mit populistischen Phrasen blasen sie zum Angriff auf jeden, der in ihren Augen "Rufschädigung" betreibt - und vergessen dabei nicht nur, daß eine Stadt nicht beleidigungsfähig ist im juristischen Sinn.

Viel schlimmer aber: Unter dem Mantel von Bürgern und Biedermännern, die ein wie auch immer geartetes "gesundes Volksempfinden" ins Felde führen, wagen längst wieder Kryptofaschisten ihr Maul aufzureißen und ihre menschenverachtenden Parolen zu blöken. Und damit – steht nicht mehr „nur“ noch die Kunstfreiheit auf dem Spiel.



Ein Provinzskandal erschüttert zur Zeit den Großraum Stuttgart. Ein Skandälchen eigentlich, das aber mittlerweile weit über Baden-Württemberg hinausweist und daran zweifeln läßt, ob unsere Kunstfreiheit noch lange Bestand haben wird.

Der Autor Matthias Ulrich aus Remseck veröffentlichte vor wenigen Monaten seinen Krimi "Feuerreiter", für den ein Ort namens Pattonville (nahe Stuttgart) als Inspiration für den Tatort diente. Der dortige Bürgerverein fühlte den Ort und seine Arbeit durch den Krimi herabgewürdigt und hat mit einem wütenden Schreiben an den Bürgermeister der Stadt Remseck, zu der Pattonville gehört, dafür gesorgt, daß Ulrich eine bereits zugesagte Lesung gecancelt und wütend zum Boykott seines Romans aufgerufen wurde, unter dem Motto: "Derartige Bücher dürfen nicht öffentlich gewürdigt werden". Und das, ohne daß es sich dabei um einen Schlüsselroman handelte, ohne daß Namen genannt, schon gar nicht ortsbekannte Personen charakterisiert würden.


2 Kommentare:

  1. An sich ein testkommentar, aber: Gibt es dazu neues?

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  2. ein freund von mir pflegt seit geraumer zeit zu sagen: "armes deutschland"

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