von Chris Inken Soppa
Nach ihrem Lasker-Schüler-Roman „Ein Bündel Wegerich“ beschert
uns Eichendorff-Literaturpreisträgerin Christa Ludwig nun eine Erzählung. Ein
schmales Buch, eines, das sich zunächst leicht und luftig liest. Eines, dessen Komplexität
und Struktur sich nicht auf den ersten Blick offenbart.
Studentin Selina möchte Künstlerin werden; die handwerkliche
Fähigkeit dafür besitzt sie unbedingt, die Präzision ihrer Finger bewegt sich
im Mikrobereich. Die Freiheit jedoch, sich in Kunst und Leben eigene Welten zu
schaffen, nimmt sie sich nicht. Stattdessen wird sie nolens volens zur liebevoll-alleinerziehenden
Mutter. Und zur Restauratorin. Ein Beruf, den sie zunächst kaum ernst nimmt,
über dessen Ehrenkodex sie sich gar lustig macht, weil sie ihn für künstlerisch
irrelevant hält.
Doch dann bekommt Selina den Auftrag, ein übermaltes Kirchenbild
freizulegen. Es von der dilettantisch-abgründigen Malschicht zu lösen, die
darüber liegt. Was Selina nach und nach an Gesten, Gewändern und Gestalten aufdeckt,
mag sich zu einem mittelalterlichen Bild zusammenfügen, scheint jedoch uralte
Gewissheiten zu hinterfragen. Hundertprozentig erfährt man es nicht – wer mag
schon die Botschaft eines unbekannten Künstlers vollumfänglich enträtseln, der
vor Hunderten Jahren lebte und malte? Die freigelegten Bildfragmente allerdings
werden Selina zu Impulsen, die sie Stück für Stück in ihr reales Leben
mitnehmen kann.
„Alle Farben weiß“ ist ein Buch, das sich mit der Leserin,
mit dem Leser entwickelt. Brüche und Leerstellen laden zum Nachdenken ein. Dabei
wirkt Christa Ludwigs Sprache klar, klug und schnörkellos-elegant. Ihre
Erzählung ist es wert, in regelmäßigen Abständen wieder und wieder gelesen zu
werden – vielleicht gar ein Leben lang.
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