Herr Maier, gibt es schon Reaktionen aus Klausen auf Ihren Roman? Es gab in Klausen sogar zwei Lesungen. Und beide waren skurril. Die erste aus dem Manuskript. Da habe ich Stellen vorgelesen, da ging es ausschließlich um die deutschen Touristen. Das fanden alle witzig. Als das Buch erschien, gab es eine erste Rezension in Südtirol, die lautete: "Vorsicht Südtiroler, diesmal sind wir gemeint". Die zweite Lesung dann war wie ein Spiegelkabinett. Viele Leute meinten, dieser oder jener Klausener sei in dieser oder jener Figur abgebildet. Manche kamen auf mich zu, die sich wörtlich angesprochen fühlten. So beispielsweise ein Stadtrat Mitterrutzner, der das Buch signiert haben wollte "für Stadtrat Mitterrutzner". Ich sagte, der Stadtrat Mitterrutzner sei eine von mir erfundene Figur. Doch er sagte: Nein, er heiße Mitterrutzner und sei Stadtrat in Klausen. Solche Sachen sind tatsächlich passiert. Generell gab es aber keine boshaften Reaktionen. Ihre Literatur wird gerne mit der von Thomas Bernhard verglichen, über den Sie auch promoviert haben. Fühlen Sie sich dadurch geschmeichelt oder als vermeintlicher Bernhard-Epigone missverstanden? Zunächst hat es mich geärgert, auch wenn ich oft bemerkt habe, dass dahinter so etwas wie eine Würdigung steht. Ich finde meine Parallelität zu Bernhard eher oberflächlich - eine äußere Vergleichsebene eben: Konjunktiv, Absatzlosigkeit etc. Eigentlich muss ich jeden, der diesen Bernhard-Vergleich gezogen hat, für einen oberflächlichen Bernhard-Leser halten. Ich vermute, dass ich auch ohne Bernhard so ähnlich geklungen hätte, wie ich jetzt klinge. Ein richtiges Vorbild ist er jedenfalls nicht für mich. Vorbilder sind für mich eher Autoren aus dem 19. Jahrhundert. Zum Beispiel? Im Deutschen ist es für mich, auch wenn's komisch klingt, immer Wilhelm Raabe gewesen. Der späte Raabe arbeitet auf eine ganz bestimmte Weise, die dem ähnelt, wie ich meine Texte mache. Die Form des Textes muss selbst schon einen bestimmten Gehalt haben. Und dann sind es vor allem die russischen Romane, Dostojewski zum Beispiel, die mich beeindrucken. Wenn ich überhaupt ein Vorbild benennen müsste, dann wäre es Dostojewski. Aber das tue ich nicht, da komme ich ja nie hin. So etwas wie Ihr Markenzeichen ist die Inszenierung von Gerede, in dem Gerüchte und Mutmaßungen an die Stelle von Tatsachen treten. Das setzt zunächst einmal ein erhebliches Potenzial an Komik frei. Ist das beabsichtigt? Sehen Sie sich auch in der Tradition komischer Literatur, etwa in der eines Eckhard Henscheid, mit dem Sie auch schon verglichen wurden? Ich habe, ehrlich gesagt, Henscheid noch nie gelesen. Vielleicht hat sich da unterbewusst ein gewisses komisches Talent freigesetzt. Aber eigentlich wollte ich nie über so etwas wie Gerüchte oder Gerede schreiben. Es kam ja aber doch dazu ... Ich musste beim Schreiben immer mit zwei Grundproblemen kämpfen: Ich hatte nie einen auktorialen Erzähler und ich hatte nie einen Ich-Erzähler. Es hat einfach nicht funktioniert. Schließlich habe ich die Figuren einfach reden lassen. Und daher dann auch der Konjunktiv - allein, um mir so etwas wie Anführungszeichen zu ersparen. Hinter den Mutmaßungen und der Multiperspektivität lauert die alte philosophische Frage nach der Wahrheit. Ein zeitloses Thema, aber vielleicht doch mit aktuellen Facetten - Sie spielen immerhin in Ihrem Roman am Rande mit dem Thema Terrorismus. Haben Gerüchte und Verschwörungstheorien derzeit Konjunktur? Dieser Text ist vor dem 11. September geschrieben worden, bis auf die Schluss-Seiten. Und am 11. September habe ich gedacht, jetzt kannst Du ihn wegwerfen, weil gewisse Begriffe aus dem Roman jetzt endgültig verbrannt sind. Eine etwas vorschnelle Panik. Jedoch gab es schon merkwürdige Koinzidenzen. Ein Freund aus Südtirol hat mich im November, als er das fertige Manuskript gelesen hatte, angerufen und sagte: "Andreas, letzten Monat gab es hier in der Nähe von Meran eine Bombendrohungfür eine Autobahn." Also mehr oder minder das, worauf der Roman möglicherweise hinzielt, aber man weiß es ja nicht so genau. Das war schon eine etwas beängstigende Parallele. Natürlich habe ich von Anfang an in diesem Text versucht, auf diesem Autobahnviadukt bei Klausen einen Stillstand zu produzieren. Und ich hatte am Anfang eine klare Vorstellung, dass da oben etwas passiert. Aber beim Schreiben des Textes ist mir immer mehr bewusst geworden, so kann ich den Knoten am Ende nicht aufgehen lassen. Da kann nicht wirklich diese Autobahn explodieren. Das wäre banal, Stoff für einen Fernsehfilm. Vielleicht sind auch deshalb diese inneren Verdrehungen des Romans entstanden und vielleicht habe ich auch damit etwas über mich selbst und darüber, wie ich in der Welt stehe, gelernt. Wenn ich es als Autor - obwohl ich den Autoverkehr hasse - noch nicht einmal schaffe, literarisch eine Autobahnbrücke hochgehen zu lassen, dann muss so etwas wie der Begriff Terrorismus wirklich etwas sehr Kompliziertes sein. Es gibt auch Gerüchte über Ihr nächstes Buch, ein Roman mit dem Titel "Kirillov" soll es sein. Können Sie uns dazu schon etwas verraten? Ich kann den Roman nur ganz äußerlich beschreiben, weil ich selbst zwar anfänglich Vorsätze hatte, aber jetzt auf Seite 130 weiß, dass die sich schon alle nicht mehr verwirklichen lassen. Ich kann nur so viel sagen, dass der Roman in Frankfurt spielt, dass viele Russen drin vorkommen, darunter einer namens Andrej Kirillov, dass der Roman möglicherweise etwas mit Selbstmord zu tun haben wird und dass er das Thema dieser scheinbaren, völligen Unausweichlichkeit unseres Wirtschaftssystems für mich klarer in den Blick nehmen wird als sein Vorgänger - "Klausen" hatte schon diese Intention, aber ich finde, die ist nicht so richtig durchgedrungen. Die Fragen stellte Oliver Fink. Rückfragen bitte an: Dr. Michael Schwarz Pressesprecher der Universität Heidelberg Tel. 06221 542310, Fax 542317 michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de http://www.uni-heidelberg.de/presse
Informationsdienst Wissenschaft - idw - - Pressemitteilung Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 23.05.2003 Von der Kompliziertheit des Terrorismus-Begriffs Interview mit Andreas Maier anlässlich der Verleihung des Clemens Brentano-Literaturpreises Den Clemens Brentano-Literaturpreis hat in diesem Jahr Andreas Maier für seinen zweiten Roman "Klausen" erhalten. Die Auszeichnung wird alljährlich von der Stadt Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem Germanistischen Seminar der Universität vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert; die Besonderheit: Der Jury gehören neben drei professionellen Literaturkritikern auch drei Studierende an. "Klausen" ist 2002 im Suhrkamp Verlag erschienen und spielt in der gleichnamigen Kleinstadt in Südtirol. Die Jury würdigt die "sprachliche Geschlossenheit des Romans", in seinem Buch entwerfe der Autor "das Bild einer auf Mutmaßungen und Gerüchten gründenden provinziellen Gesellschaft". Andreas Maier ist 1967 in Bad Nauheim geboren und lebt heute in Brixen (Südtirol). Das Gespräch fand am Rande der Preisverleihung statt.
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