Montag, 19. Mai 2003

Literatur im Stuttgarter Rathaus – nicht mehr gefragt?

Wenn die Reihe "Literatur im Rathaus" nämlich eingestellt wird, gehen nicht nur einige Literaturveranstaltungen im Jahr verloren. Viel Tradition, Symbolik und bislang politisch gewollte Förderung der Literatur wird mit dem Argument, es gebe andere Veranstaltungsorte, bürokratisch wegradiert.

Die Rathauslesungen sind eine originäre literarische Veranstaltungsreihe, es gibt sie in der Form nur in Baden-Württemberg. Die erste Rathauslesung überhaupt hat in Stuttgart stattgefunden, 1978 lasen bei der Auftaktveranstaltung Walter Jens und Werner Dürrson.
Die Reihe wurde in der Landeshauptstadt bis 2002 erfolgreich fortgeführt. In anderen Städten des Landes wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten ebenfalls viele Rathauslesungen mit Erfolg praktiziert. Die Reihe in der Landeshauptstadt blieb beispielgebend. Kulturamtsleiter Dr. Wolfgang Ostberg hob in den letzten Jahren immer wieder die besondere Bedeutung der Rathauslesungen hervor und betonte bei den Veranstaltungen, dass die renommierte Reihe auch nach dem Umbau des Rathauses fortgeführt werde.

Literatur im Rathaus verfolgt von Anfang an die Grundidee, dass die Kommunalpolitik öffentlich für Literatur und Lesen wirbt und für die Förderung der Literatur ein Zeichen setzt.
Wichtig war den Initiatoren der Rathauslesung (Johannes Poethen und OB Manfred Rommel) die öffentliche Begegnung von Literatur und (Kommunal-) Politik.
Schriftstellerinnen und Schriftsteller stellen sich nicht an irgendeinem Ort, sondern gerade in einem Rathaus dem Publikum und auch den politisch Verantwortlichen vor.
Förderung der Literatur und Werbung für die Literatur erfolgt ausdrücklich im Namen der Stadt, im Namen ihrer politischen Verantwortlichen.

Mit diesen Grundideen haben in Stuttgart jährlich viermal Lesungen im Großen Sitzungssaal mit sehr renommierten Autoren und Nachwuchstalenten veranstaltet werden können. Die Tandemlesung garantierte literarisch anspruchsvolles Niveau und lebendig Neues aus der literarischen Szene.
Es war übrigens lange Jahre selbstverständlich, dass der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt bei den Rathauslesungen anwesend war, einführende Worte sprach.
Die Zeiten haben sich geändert. Wohin die Reise geht, wieviel Verstehen und Verständnis zwischen Politik und Literatur geben soll und gewünscht wird, wird sich zeigen.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Landeshauptstadt ebenso wie der Verband deutscher Schriftsteller (VS) in ver.di fragen bestürzt:
Welche Interessen verfolgt eigentlich eine Kultur-Politik, die eine ausgewiesenermaßen erfolgreiche Einrichtung wie die Rathauslesungen in Stuttgart abschaffen will?
Ist das die neue politische Kultur, oder eine rückwärts gewandte Art von Kulturpolitik? Zeigt hier die Landeshauptstadt beispielhaft, wie es mit der Förderung der Literatur und der Förderung der Lesekultur auf kommunaler Ebene im Land der Dichter und Denker weiter gehen soll?

Apropos Tradition: Hat nicht schon Württembergs Herzog Carl Eugen mit Schubart und Schiller bestens vorgemacht, wie man von Literatur und Literaten völlig unbehelligt Politik betreibt? Weiter so, Stuttgart, kann man da doch nur ganz ironisch empfehlen.

gez. Imre Török
Vorsitzender
VS Baden-Württemberg

Jutta Weber-Bock
Mitglied des Vorstandes, VS Baden-Württemberg

Literatur im Stuttgarter Rathaus – nicht mehr gefragt?
Stellungnahme und Fragen des Schriftstellerverbands (VS) in Baden-Württemberg, Fachgruppe Literatur in ver.di
Die sogenannten Rathauslesungen in Stuttgart haben eine lange Tradition. Vor rund einem Vierteljahrhundert fanden auf Initiative des damaligen Vorsitzenden des Schriftstellerverbands (VS) Johannes Poethen die ersten Lesungen im Rathaus statt.
Jürgen Lodemann, der diesjährige Träger des Stuttgarter Literaturpreises und zu jener Zeit im VS-Vorstand für die Literatur aktiv, sagte jüngst in seiner Dankesrede, damals stießen Vorschläge von Schriftstellern bei Politikern noch auf ein offenes Ohr.
Stellen sich kommunale Entscheidungsträger inzwischen auf beide Ohren taub, wenn von Literatur im Rathaus die Rede ist? Symptomatisch, dass viele Kommunalpolitiker in finanziell schwierigen Zeiten gerade in Kulturfragen jedwedes Fingerspitzengefühl verlieren. Oder gar das Gesicht?

1 Kommentar:

  1. mir fehlt etwas der background: wer hat wie ddas ende dieser reihe bekanntgegeben?

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