Samstag, 27. April 2002

Ein paar von euch nehm ich noch mit (Erfurter Schul-Amoklauf)

Das Geschrei der anderen ist nicht ganz so laut, aber ebenso launig. Die faseln nämlich von gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, davon, daß die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen ein erschreckendes Maß angenommen habe. Und daß das gewiß zurückzuführen sei auf Gewalt in den Medien und auf LAN-Parties, auf denen sich die Kids nächtelang gegenseitig die virtuellen Rüben wegballern. Eine typische Antwort für unsere ohnmächtigen sogenannten Wertkonservativen, die eben auch mal was beitragen wollen zur Aufarbeitung solcher Ereignisse. Nicht gerade spannend: Die Medien. Gewiß, die Medien und die LAN-Parties, ach Gott ja! Und was sonst? Was passiert denn um uns herum seit einigen Jahren? (Lassen wir die Medienverantwortung und die LAN-Parties, die ganz sicher nicht von potentiellen Amokläufern aufgesucht werden - ganz andere Klientel! - mal außen vor.) Wir erleben jetzt schlicht die Kehrseite eines gesellschaftlich durchgehechelten Hyperindividualismus, der sich einfach nimmt, was man ihm zu verweigern droht. Alles im Rahmen des täglich Erfahrbaren und rollenmäßig Vorgelebten. Einmal eine Berühmtheit sein, selbst das gehört dazu, und zwar genau zu einem von allen gesellschaftlich wirksamen Kräften aufgeblasenen Ego, das aufgeblasen wird und aufgeblasen und angefeuert, und dann, irgendwann, ganz plötzlich, von da nicht mehr abgeholt wird, keinen Platz erhält, nicht hier und auch anderswo nicht. Weil wir Plätze in dieser Gesellschaft eben lieber abbauen, und nicht allein Arbeitsplätze. Und was außerdem? Seit der sogenannten geistig-moralischen Wende von 1982 erleben wir doch ein durch und durch auf gewalttätiges Ellbogendenken, Egomanie und Geldgeilheit ausgerichtetes, völlig wesensverflachtes und wertgehemmtes Völkchen. Die Tatsache, daß jetzt ausgerechnet die längst eben nicht mehr wertkonservative, sondern neoliberale CDU, Hauptverursacherin dieser katastrophalen Entwicklung, als Hüterin des Wertkonservatismus vorprescht, ist purer Zynismus. Und leider nur die Hälfte der dampfenden Kacke. Bitter ist für mich auch, daß ich als ehemaliges SPD-Mitglied tatsächlich einmal dachte, diese Koalition könnte noch einmal eine Wende der Wende durchsetzen. Und jetzt in dieser Peepshow auf allen Kanälen nur dieselben wertgehemmten, neoliberalen, geldgeilen Egomanen sehe, die Krokodilstränen vergießen. Und nur deshalb nicht selbst schießen, weil sie ihre Schäfchen längst im Trockenen haben. Und ihre Tränchen auch. Was werden wir jetzt als nächstes erleben? Wie sich die potentiellen Nachahmer von Erfurt zuraunen: "Ok - Du hast 18 geschafft. Respekt. Aber das werd ich locker toppen. Locker." Bevor sie - Nummer 23 - ihre eigene Hirnflüssigkeit im Raum zermatzen. Sportliches Denken. Da wird man doch wenigstens einmal abgeholt. Oder hat das Gefühl, man werde es. Vor einer Woche hat mir ein Freund eine Frustmail folgenden Inhalts geschickt: "Alles gedacht. Alles gesagt. Alles getan. Alles entdeckt. Alle Biere getrunken. Auch alle Schnäpse. Alles schon gegessen. Alles schon mal dagewesen. Alle Pfründe vergeben. Alle Stühle besetzt. Mit breitem Arsch. Alle Eingänge verstopft. Alle Durchgänge verstopft. Alle Ausgänge versperrt. Alle Überzeugungen ausgemerzt. Alle Utopien ausgeträumt. Mit allem nur Erdenklichen aufgeräumt. Alle Gelder vergeben. Alle Stellen vergeben. Alle Banken ausgeräumt. Und diese Generation ist nur dazu da, die Bevölkerungspyramide etwas harmonischer zu gestalten. Wir sind eine Generation von Chancenlosen, von Epigonen. Eine Generation, die nicht hätte "hochkommen" dürfen. Eine Gesellschaft, die sich eine solche Generation leistet. Brauchen will uns keiner. Chancen gibt man uns nicht, eröffnet uns keine neuen Wege, niemand dankt ab, niemand räumt seinen Stuhl, niemand will irgendwo noch Förderungen reinbuttern. Gebuttert wird sowieso schon seit einiger Zeit nicht mehr. Trotzdem brav bleiben, trotzdem still halten. Diese Gesellschaft leistet sich eine solche Generation, rausgeschickt und anschließend im Regen stehen gelassen, aber sie ist nicht bereit, dafür zu bezahlen. Wer Mist baut, muß aber bezahlen, irgendwann. Und irgendwann werden Generationen von Amokläufern, die ihre Energien nicht mehr bei sich behalten können, diese Straßen bevölkern und alles neu denken, alles neu schießen, alle Stühle räumen, alle Eingänge freischießen und alle Durchgänge." Ein Bekloppter? Sollte ich den jetzt besser anzeigen? Aber müßte ich dann nicht jeden dritten männlichen Mitbürger zwischen 15 und 35 anzeigen, der da draußen rumläuft und sein Ego nicht mehr auspendeln kann. Und mich als ersten. Nö. Einigen wir uns doch lieber auf die Festungsmethode und das Wursteln wie bisher. Und einstweilen warten wir darauf, daß unsere Ärsche auf unseren Schreibtischstühlen hübsch festwachsen. Netzreferenz hierfür

Ein paar von euch nehm ich noch mit "Müssen wir mit Ehrfurcht nach Erfurt blicken." Spontisprüche, 21. Jahrhundert. Da sitzen jetzt alle wieder zusammen und vergießen Krokodilstränen, die offiziösen Vertreter der Gesellschaft. Und sofort wird das Geschrei der einen wieder laut, die die längst fälligen Reformen für das 21. Jahrhundert in einem möglichst eng begrenzten Rahmen vorangebracht wissen wollen; insgesamt also wursteln wie bisher und gleichzeitig Schulen in Festungen verwandeln, die man nicht einmal mit einem Schuhlöffel im Ranzen betreten kann.

21 Kommentare:

  1. Die Wissenschaftsministerin von T. beklagt: Die Hemmschwelle zur Gewaltbereitschaft sei gesunken.



    Und das ist die Generation, die der jetztigen "jungen" Generation helfen will und soll, über ihre Probleme auch nur zu sprechen? (Geschweige denn: Sie zu lösen?)



    Ich hab jetzt schon Mails von Schülern, die Angst vor den nächsten Wochen haben.

    AntwortenLöschen
  2. Ratlosigkeit allerorten - andererseits, wie Sie ja s.o. selber ausführen: Viele wußten vieles schon vorher, auch, wie man, d.h. wie wir alle es besser machen könnten.

    Letztlich sollte jeder Mensch in die Lage gebracht werden, verantwortlich für sich und seine Umwelt zu entscheiden. Fakt ist: Jeder trifft permanent Entscheidungen - der Ex-Schüler in Erfurt hat auch entschieden, gegen sich und das Leben der von ihm Ermordeten sowie deren Hinterbliebenen ...



    Inwieweit das im TV immer "Krokodilstränen" waren, die da vergossen wurden, kann ich nicht beurteilen - mir erscheint diese Art der Schuldzuweisung nicht hilfreich ... das läßt einen selbst zu leicht außenvor bzw. als jemanden, der scheinbar nichts machen kann, etwas zu billig bei den "Guten" sein.

    Diese Politiker haben zumeist selber Kinder, ich will Ihnen jedenfalls Ihr Entsetzen über das Geschehene gern glauben.



    Ich war gestern weit eher seltsam berührt davon, dass in meinem bevorzugten Radiosender das normale Programm mit lockeren Sprüchen zu lockerer Musik weiterhin durchgezogen wurde. Und auch heute wird abgesehen von den Nachrichtenmeldungen kaum darauf abgehoben. Dabei wäre jetzt eine Zeit des Innehaltens, die ohne beruhigende Instantantworten auskommt.



    Ich selber denke jetzt zuerst an die trauernden Angehörigen und die verletzt und unverletzt überlebenden KollegInnen und SchülerInnen der Gutenbergschule, die vielleicht ein Leben lang keine befriedigende Antwort auf ihre Fragen finden.

    Nochmal: Ich hätte es sehr gut gefunden, wenn unsere Meinungsvertreter - Politiker wie Medien - erstmal allesamt innegehalten und zum deutschlandweiten Innehalten eingeladen hätten. Einfach mal Pause. Und in dieser Pause aus der eigenen Angst Mitleid für die aufkommen lassen, die gerade eben tatsächlich in ihrer Trauer ganz furchtbar allein sind. Das in Erfurt war eine Katastrophe mit noch ungeahnten Folgen!

    Ich schätze die Analyse und schätze mich selbst als ziemlich rational ein - aber vor der Ratio wäre hier m.E. eben erstmal Gefühl, Mitgefühl angesagt, doch dafür müßte man, müßten wir alle mal unserem Trott unterbrechen können ...

    Warum eigentlich nicht?

    AntwortenLöschen
  3. Tatsächlich ein Artikel, der zu denken gibt und sehr betroffen macht: Genau so ist es! Ist es wirklich so? Der Thüringer MP Vogel erinnerte in diesem Zusammenhang an den Anschlag während der olympischen Spiele München 1972, wo gesagt wurde: The games must go on. Und so müsse das Leben jetzt weitergehen. Also Montag wieder Schule, Abitur weitergeschrieben, alles wie gehabt, bald ist wieder alles beim alten.

    Ich kann mich jedoch nicht des Eindrucks erwehren. daß die Hemmschwellen gesunken sind, daß heute schneller zugestochen wird als früher noch, daß eine gewisse Verrohung (und Verblödung) der Gesellschaft (mit medial hochgepuschten Vorbildern) stattfindet. Am schlimmsten finde ich, daß es offenbar genügt, Mitglied in einem Schützenverein zu werden, um sich legal alle möglichen Waffen zuzulegen. Die Frage ist, was wird da(gegen) unternommen?

    AntwortenLöschen
  4. Mehr Presse:



    Stoiber verbietet statt der Gewalt lieber die Darstellung der Gewalt:



    http://www.heise.de/newsticker/data/rop-27.04.02-001/



    In "Bildzeitungssprech" (Was ist denn das für ne Sprache die der Kommentator da hat? Ich hab wohl zu lange kein BILD mehr angesehen... (Lesen geht ja nicht...)) kann man das hier nachlesen:



    http://www.bild.de/service/archiv/2002/apr/27/news/kom/kom.html

    AntwortenLöschen
  5. 1

    ich finde es ganz interessant dass es am tag des amoklaufs in den medien ausdrücklich hieß er sei kein waffenliebhaber gewesen und dass die polizei bei der wohnungsdurchsuchung keine videos oder viedeospiele mit gewalt-inhalten gefunden hätte. am tag danach stellt sich heraus dass er gern und oft geschossen hat und selbstverständlich auch -eben noch verleugnete- videospiele besaß.



    2

    es handelte sich um einen "offenen" jugendlichen, "der in die disco ging". also jemand der allem anschein nach versucht hat sich in das soziale netz einzupassen. außerdem wollte er auffallen und war politisch interessiert. "ich will hier rein" (schröder, bk).



    3

    das pendelmodell: wird das pendel zulange und zu hoch auf einer seite gehalten, kommt es zu einem extremen ausschlag.



    4

    "robert, das macht doch alles keinen sinn mehr!"

    "falsch!! es hat alles keinen sinn mehr!"

    -klick



    5

    annahme: es wäre nie zu der tat gekommen wenn er am tag zuvor von seinem baldigen millionenerbe erfahren hätte.



    6

    >Einigen wir uns doch lieber auf die Festungsmethode

    >und das Wursteln wie bisher. Und einstweilen warten wir darauf,

    >daß unsere Ärsche auf unseren Schreibtischstühlen hübsch festwachsen.



    einverstanden.



    oder doch nicht?



    hängt es nicht an enttäuschungen, isolation und fehlender annerkennung?

    respekt?

    liebe?

    geht es nicht weniger um "wie heißt es" als "wo kommt es her"

    und: "was kann besser werden"?



    gibt es zu wenige gute lehrer und eltern?

    zuviele erwartungen, gesellschaftliche zwänge?



    >..das wird halt ab und zu passieren

    ist für mich eine unmenschliche aussage,

    es kommt viel zu häufig vor.



    auch unter dem aspekt dass viele suizide

    demnächst spektacooler stattfinden werden.

    AntwortenLöschen
  6. Ist es ein Zufall, dass das Unglück (zuerst) in einem neuen Bundesland geschehen ist?

    Dort ist die Haut dünner, die Probleme sind größer, die Ellbogen spitzer!?

    Die Presse berichtet massiv, die Prominenz des Attentäters ist gesichert.

    "Be A Hero, Just For One Day".

    Auch wenn ich Andy Warhol vielleicht nicht wortgetreu zitiert habe, läßt sich das jetzt auch auf unsere Verhältnisse übertragen.

    Gesellschafts- und wirtschaftspolitisch haben wir uns unserem großen zynischen Freund Amerika schon mehr und mehr angeglichen.

    Die andere Seite der Medaille wird uns nun in deutsch-gründlicher Manier vorgeführt.

    Rechtes Gedankengut, Waffenbesitz und keine Zukunftsperspektiven, sind eine explosive Mischung.

    Ein Schüler fälscht Unterschriften und wird von der Schule geworfen.

    Statt nach einer Lösung zu suchen, wird der simple Weg der direkten Bestrafung gesucht. Der Ellbogen direkt ins Gesicht!

    Das ist keine Entschuldigung für diese schreckliche Tat.

    Aber ein Abbild dieser dumpfen und inhumanen Gesellschaftsstruktur.

    Es gibt kein "Prinzip Hoffnung" mehr, sondern es herrscht das "Prinzip Angst".

    Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, ja überhaupt einen zu finden, Angst nicht dazu zu gehören und und und ...

    Wer ja zu Sozialabbau sagt und sich nicht dagegen wehrt, muss lernen mit solchen schrecklichen Ereignissen zu leben.

    Ändert sich unsere Gesellschaft nicht grundlegend wird es leider nicht das letzte Mal gewesen sein, das wir so etwas erleben.

    AntwortenLöschen
  7. admin/Oliver Gassner28. April 2002 um 13:17

    Nur so generell:

    Wer eine Meinung hat, möge doch bitte mit einem Namen dazu stehen. Das ist auch Teil einer Zivilisation.



    _Wirklich_ anonym ist man hier ohnehin nur mit höchtem Aufwand: IPs werden logischerweise mitgeloggt, wie das bei allen Online-Foren üblich ist.

    AntwortenLöschen
  8. Ist es Zufall, daß der Täter männlich war?



    Und weshalb hat die ganze Gesellschaft große Hemmungen, sich ernsthaft - ohne Pauschalierungen, Biologismen und Frauen-sind-bessere-Menschen-Kitsch - mit dieser wichtigen Frage auseinanderzusetzen?



    Zufall oder symptomatisch?

    AntwortenLöschen
  9. Der Amoklauf ist ein 'typisch männliches' Ausrasten. Rein statistisch. (http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/amok.html)

    Wobei die offenbar erste 'Schul-Amokläuferin' ein Mädchen war (http://www.heise.de/tp/deutsch/special/auf/12423/1.html)

    Diskutiert wird das sicher seit längeremn intesiv, in Fachkreisen. Der Stammtisch (oder der Parteitag) bringt da sicher keine Lösung.

    AntwortenLöschen
  10. Hallo Oliver,



    ich dachte nicht an die Forschung (oder ein paar Anti-Gewalt-Projekte), sondern an die Medien, die versuchen, sich seriös mit dem Thema auseinanderzusetzen und in diesen Tagen auch auf verschiedene Zusammenhänge eingehen. Einfach ein Hinterfragen dessen, was "normal" scheint oder einfach nur üblich ist. (Das ist halt auch nicht gerade üblich....)



    Und die Frage, wie man mit Frustration umgeht, und wie sich Mädchen und Jungs / Frauen und Männer dabei tendenziell unterscheiden, ist ja nicht nur bei Amokläufen relevant, sondern auch bei ganz alltäglichen Formen von Gewalt. Und von daher ist das kein akademisches Expertenproblem. Wer z.B. das krankenhausreif schlagen von Frauen als "Familienstreitigkeit" bezeichnet (war lange üblich), bringt damit zum Ausdruck, daß es normal ist und auch keiner ernsthaften Sanktion bedarf, wenn Männer ausrasten und zuschlagen.

    AntwortenLöschen
  11. Bis zum Kollaps Europas im Zuge des zweiten Weltkriegs wurde fast jeder jungen Generation "für´s Vaterland" implantiert, damit sie ihre Gewehre unter den Arm klemmen und zum zigsten Mal sinnlos nach Paris oder Moskau marschieren. 30 oder 40 Millionen Tote später war dieses Kapitel zum Glück beendet.



    Danach hieß es "Wiederaufbau", und es wurde eben aufgebaut, bis alles soweit stand. Es folgte "soziale Gerechtigkeit", also wurde dafür demonstriert - und an den extremen Rändern auch gebombt. Ein bitterer Nebeneffekt.



    Ich kann dem Text nur zustimmen. Heute heißt es "Ellenbogen raus", und was macht die junge Generation? Sie tut es. Also wird getreten, gestohlen, betrogen, gedealt, erpresst - und nun auch Amok gelaufen. Wie jedes der gesellschaftlichen Vorgängerideale wird also auch dieses bis ins letzte Extrem getrieben.



    Insofern ist es zu befürchten, dass es nicht das letzte Mal war. Solange sich die gesellschaftliche Atmosphäre nicht ändert, ist dieser Druck auf einzelne, die potentielle Begeher so einer Tat sind, leider da.



    Und sieht jemand eine Änderung? Ich nicht. Nirgendwo. Im Gegenteil.

    AntwortenLöschen
  12. Es mag für deutsche Ohren ungewohnt klingen ... aber ich glaube, es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob zur Ausbildung in der Schule nicht auch psychologisches Streß- und Konfliktverhalten gehören sollte. Wie verhält man sich in Zeiten aussergewöhnlicher Belastungen? Wie reagiert man auf Konfrontationen? Wie setzt man sich kurz- und langfristige Ziele? Wie verhandelt man erfolgreich mit Familienangehörigen, Freunden, Partnern, Lehrern, Vorgesetzten, Behörden? Schule und Beruf erhöhen ständig die Leistungs-Anforderungen - aber wie man damit leben soll - besonders, wenn man sich überfordert fühlt und in der Sackgasse steckt ... das sagt einem niemand.



    Im Alltag gibt es immer Leute, die jede Situation in einen Vorteil für sich ummünzen - und andere, die sich von Streß, vermeintlicher oder echter Feindschaft anderer umzingelt fühlen und keinen Ausweg finden. Ganz eindeutig haben viele den Eindruck, daß es auch keinen Ausweg gibt. Und dann kommen die Rambo-Typ-Filme und aggressiven Computerspiele. Da ist es für intellektuell mittelmäßig bis weniger gut ausgestattete Zeitgenossen doch leicht, es mit Gegen-Aggression zu versuchen - je mehr, desto besser!



    Früher haben Lehrer die Schüler, die sich nicht unterordneten, schlicht verdroschen. Heute sind ihre Möglichkeiten begrenzt, und sie verhalten sich oft passiv-aggressiv, wenn sie stattdessen Lösungen anbieten sollten. In der DDR hat man früher alles, was nicht glatt ging, auf den "Klassenfeind" geschoben - das war auch eine Art von Konfliktverhalten - die Alltags-Aggressionen wurden nicht gemildert oder kompensiert, sondern in echten Haß verwandelt und in eine bestimmte Richtung konzentriert. Heute sind die Zusammenhänge schwieriger geworden. Konzernchefs sind nicht mehr der Klassenfeind - April, April ... sondern man soll sich das Profitmotiv, daß dem Privatunternehmen als Triebkraft zugrunde liegt, zum Teil zu eigen machen, zum Teil aber auch soziale Verantwortung lernen. Sind Eltern, Lehrer, Ausbilder und Chefs nicht überfordert, wenn sie das alles vermitteln sollen?



    Es reicht nicht, im Unterricht ein paar Prinzipien aufzustellen, die von Staat und Politikern stammen. Soziales Verhalten kann man lernen. Das sind keine unbekannten Größen, sondern da gibt es gesicherte Erfahrungen. Man braucht ja nicht gleich die Schulen in psychologische Bildungsstätten zu verwandeln. Aber wenn Schüler Streß- und Konfliktverhalten lernen, kommt ihnen das ihr ganzes Leben lang zugute - Man sollte nicht nur immer an ihnen herummeckern - sondern ihnen sagen, wie man Dinge besser macht.



    Gruß Armin

    AntwortenLöschen
  13. >... aber ich glaube, es lohnt >sich, darüber nachzudenken, ob >zur Ausbildung in der Schule >nicht auch psychologisches Streß- >und Konfliktverhalten gehören >sollte.



    Das passiert.

    Googlestichwörter:

    * Mediatoren Schule (Schüler schlichten Schülerkonflikte)

    * STUPS Schule (Selbstbehauptungstraining, Kommunikatiosnsschulung, Aggressionsverarbeitung)

    AntwortenLöschen
  14. Reinhard J. Lenz28. April 2002 um 21:25

    Es darf nicht vergessen werden, dass Erfurt - so grauenhaft es auch war - kein Einzelfall ist.

    Taten dieser Art gehören mittlerweile fast zum Alltag.



    Warum sie sich derartig häufen, ist eine berechtigte Frage, sie zu beantworten hingegen ein schwieriges Unterfangen, weil bequeme Schuldzuweisungen oft so einfach sind und vor allem oft so "wahr" zu sein scheinen - und zumindest hin und wieder auch sind.



    Ich will deshalb eine Weitere hinzufügen:



    Diese Spaß-Gesellschaft, in der Vergnügen und Amüsement die maßgeblichen Lebensziele sind und durch das "richtige" T-Shirt, die "richtigen" Turnschuhe und die "richtige" Frisur, ach, so leicht erreichbar, diese Spaß-Gesellschaft, die jedoch durch absolut nichts mehr auf die nach wie vor vorhandenen ernsthaften Lebenskrisen der Menschen - und nicht nur der jungen - zu reagieren in der Lage ist - diese Spaß-Gesellschaft und ihre Protagonisten sind die wahren Verursacher und oft auch aktiven Wegbereiter solcher Verzweiflungstaten - zumindest zu einem erheblichen Teil. Wobei es durchaus nicht immer akute Verzweiflung sein muss, die den Amoklauf auslöst. Oft schleicht sich die Sinnlosigkeit langsam und leise ein.



    Dass sie das tun kann, liegt eben an dieser Unfähigkeit der Millionen von Krämerseelen, der Millionen von Ellenbogen-Benutzer, der Millionen von RTL- und Pro7-Konsumenten, der Marketing- und NewEconomy-Schwindler, der Sinnlosigkeit etwas entgegen zu setzen. Und es will ja auch gar keiner von ihnen.



    Versager sind da jedoch nicht minder die immer ratloseren Pfarrer und Prediger, denen keiner mehr glaubt, ebenso wie die esoterischen Verführer, die die Bücherauslagen der Kaufhäuser mit ihrem Schund überschwemmen oder die verlogenen und käuflichen Politiker, die längst aufgehört haben, staatstragende und gesellschaftlich relevante Persönlichkeiten zu sein.



    In einer Gesellschaft, in der der Sinn des Lebens von H&M, Lagerfeld oder Sony definiert wird, in der schulische oder berufliche Laufbahn, der Internet-Chat und die coolste Mac-Version wichtiger sind als die Fähigkeit, sich gegenseitig die Hände zur Hilfe zu reichen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Verzweiflung über das Betrogenwerden durch all diese Lebenslügen und von all diesen Lügnern eruptiv ausbricht.



    Und keiner sagt "Stopp! Hört auf mit dem ganzen Flitter, macht Schluss mit dem ganzen Geschrei um die schrillste Sonnenbrille, die nächste LoveParade, die geilste BMW-Felge und was es sonst noch an Scheinlösungen für Eure wirklichen Bedürfnisse gibt. Werdet stiller, leiser, langsamer, bedächtiger, achtsamer. Denkt, bevor ihr redet und - vor allem - redet, bevor ihr tötet."



    Keiner sagt das!

    Weder bei RTL, noch auf Pro7, weder in den Schulen, noch in den Amtsstuben der Polizei oder den Lehrer- und Klassenzimmern.

    Und selbst, wenn es einer sagen würde, käme das nächste Moorhuhn und würde ihn zum Schweigen bringen.



    So ist das hier & heute. Und wenn das so bleibt, wird Erfurt nur der Anfang gewesen sein...

    AntwortenLöschen
  15. Schuld sind die, die gar nicht wissen, was sie tun.

    AntwortenLöschen
  16. Mein Wunsch wurde erhört: Vorhin war die Soziologin Anita Heiliger vom Deutschen Jugendinstitut (München) im "Grünen Salon" und hat ein neues Bild von Männlichkeit gefordert, z.B. in der Lehrerausbildung, in der Schule, in den Medien. Bei dem Erziehungswissenschaftler in der Runde, der auch Lehrerinnen und Lehrer ausbildet, rannte sie damit offene Türen ein.



    Ihre Hauptaussage: Die Gesellschaft verspricht den Jungs durch ein unrealistisches Männerbild Macht und Stärke in einem Ausmaß, wie sie sie größtenteils nie erreichen werden, und erzeugt damit Frust und Unsicherheit. Und viele junge Männer fordern das Versprochene dennoch ein, manchmal "nur" mit Macho-Allüren und Dominanz, manchmal mit Gewalt, im Extremfall mit allen Mitteln. (Das bezog sich nicht speziell auf Erfurt, weil man noch zuwenig über die Hintergründe weiß).

    AntwortenLöschen
  17. Ich bin stolz ein Mann und Lehrer zu sein!

    AntwortenLöschen
  18. Hallo Thorsten, ist das die trotzige Antwort darauf, daß sich die Gesellschaft so gerne an den Lehrern abputzt, wenn irgendwas schiefgeht? (Und weshalb nimmst Du das gleich persönlich, wenn Gewalt von Männern als solche benannt und nach den sozialen Ursachen gefragt wird? Daß Du mit der Testosteron-Theorie der neuen Rechten - kurz: Männer sind halt so - symathisierst, kann ich mir nicht recht vostellen.)



    Mir fällt einfach auf, daß an Lehrer scheinbar selbstverständlich sehr hohe Erwartungen gestellt werden, die sogar für erfahrene Psychotherapeuten keine leichte Aufgabe wären, und die Ausbildung bei weitem nicht mithalten kann. Zumindest die meiner Studienkollegen für das Lehramt Gymnasium in Bayern (die z.T. dieselben Seminare besuchten wie ich fürs Diplom) war v.a. wissenschaftlich und didaktisch orientiert.



    Ich hatte in meiner Gymnasialzeit den Eindruck, daß die meisten Lehrer schon von den üblichen Problemen in der Klasse (Stichwort Außenseiter und Sündenböcke der Klassengemeinschaft) heillos überfordert waren, wenn sie überhaupt bereit waren, darauf einzugehen (Zeitdruck!). Und nun wird von diesem Berufstand Prävention und Erkennen von Terror, sexuellem Mißbrauch in der Familie, Drogenproblemen und Magersucht usw. verlangt, und gleichzeitig hängt die Beförderung der Beamten davon ab, daß alles glatt läuft, der Ruf / schöne Schein der Schule gewahrt und der Stoff durchgezogen wird....



    Wird Dir da nicht manchmal flau?

    AntwortenLöschen
  19. Interessant ist der Zusammenhang zwischen Schützenvereinen und Amokläufern, aufgedeckt bei Telepolis: "Zeitbombe Schützenvereine" http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12426/1.html

    AntwortenLöschen
  20. Jetzt ist einer von 80 Millionen ausgetickt und das wird wieder von allen aufgebauscht, als sei eine Seuche ausgebrochen. Ja, es ist grausam und furchtbar für die einzelnen Betroffenen. Aber das gibt es immer wieder, wie es auch immer wieder Unfälle geben wird, selbt wenn sich alle an die StVO halten.



    Sondersendung, Betroffenheit, Kränze und Versprechen. Jedes mal der selbe Quatsch. Es ändert sich nichts, da es in jeder Produktion auch Ausschuss gibt. Wann endlich akzeptiert der Mensch endlich, dass es keine 100%ige Sicherheit gibt? Nicht durch Händchenhalten und Blumen im Haar und auch nicht durch Selbstbewaffnung und Polizeistaat. Es wird diese Ausraster immer geben.



    Sie gibt es in jeder Religion, in jeder Gesellschaftsform. Akzeptieren wir es doch einfach und machen nicht immer diese, zumindest mich ankotzenden, Trauerheuchelphasen durch.



    Amokläufe an Schulen gab es bereits in den Sechzigern. Da es damals wohl noch keine Computerspiele gab und die Medien insgesamt noch nicht zu hysterisch waren, muss es andere Gründe geben.



    Auch wenn wir den Osten verbieten, den Süden umbenennen und den Westen verlegen, die Sonne wird ihren gewohnten Weg am Himmel beschreiten. Und das ist gut so!

    AntwortenLöschen
  21. Hallo liebe Irene.

    So trotzig war meine Antwort, mein Kommentar gar nicht. Diskussionen "gegen" Männer und Lehrer, hier werden jetzt stereotype Täterprofile gesucht, nein! Ich bin ein Mann und ich bin ein Lehrer, und verdammt nochmal (auch wenn dieses Komma da falsch ist - ich lehn mich auf), genau wenn sowas in der Diskussion ist, lehne ich mich auf, weil ich nicht mit mainstreame. Aber: Ich mache auch keinem Schreiber hier den Vorwurf, ich sage es nur!



    Auf deine Frage, ob es mir nicht manchmal flau wird. Ach, ich habe "meinen" Eltern beim letzten Elternabend mal erklärt, was ich neben Wissensvermittler, Ersatzelternteil, Sozialarbeiter etc. noch alles für ihre Kinder sein müsste, da schlucken die schon mal. Klar wird von einem Lehrer viel erwartet, aber er kann nur leisten, was er eben leisten kann. Und das kann man denen da außen schon klar machen, man muss nur den Mut haben. Hm, wenn so ein menschenverachtender Spinner, sagen wir mal, in einem Betrieb ausgetickt wäre, wem könnte man dann die Schuld geben? Da sind Lehrer schon einfacher zu "beflecken", schließlich arbeiten sie doch "näher am Menschen".



    Danke für deine Gedanken,

    Gruß,

    Thorsten

    AntwortenLöschen